Phantasiereisen für den therapeutischen Einsatz

Phantasiereisen beeinflussen die Gehirn-Tätigkeit

Unser Gehirn ist die wichtigste Steuerungs- und Informationsverarbeitungszentrale des Körpers. Als zentrales Kontrollorgan des Nervensystems beeinflusst es alle Körperfunktionen und beherbergt unser Bewusstsein. Gedanken und Gefühle wirken sich dabei unmittelbar auf Körperfunktionen aus. Ein einfaches Beispiel:

Allein die Vorstellung einer Gefahrensituation – zum Beispiel, in einen Autounfall verwickelt zu werden – löst Erregungsmuster im Gehirn aus, die eine Stressreaktion des Körpers bewirken. Herzschlag und Atemfrequenz steigen, die Nebennieren schütten Adrenalin aus, die Muskelspannung verändert sich, um den Körper auf Kampf oder Flucht vorzubereiten.

Dazu müssen die Stress auslösenden Faktoren gar nicht real vorhanden sein – die Vorstellung allein genügt. Wie effektiv dies sein kann, belegt das bekannte Beispiel vom Pollenallergiker, der schon beim Anblick eines Fotos einer Rose allergische Symptome zeigt.

Wissenschaftliche Studien belegen, dass schon bei der Vorstellung, den Arm zu heben, die bewegungssteuernden Zentren des Gehirns aktiv werden und Nervenimpulse in die Muskulatur schicken, um die Bewegung anzubahnen. Diesen Mechanismus nutzt man beispielsweise bei der Therapie von Lähmungen, um dem Abbau gelähmter Muskulatur vorzubeugen und ihre Funktion zu verbessern (Innervationstraining, Atrophieprohylaxe).

Das Gehirn steuert aber noch viel mehr als nur unsere Muskulatur. Die Ausschüttung von Hormonen, die Tätigkeit der inneren Organe, Verdauungs- und Ausscheidungsfunktionen werden von einem komplexen Zusammenspiel mehrerer Steuerungsebenen reguliert, an denen das Gehirn immer beteiligt ist.

Auch wenn wir glücklich sind und uns rundum wohlfühlen, sorgt das Gehirn dafür, dass bestimmte Botenstoffe und Hormone freigesetzt werden, die die Tätigkeit unserer Organe stimulieren. Studien haben erwiesen, dass dadurch die Selbstregulation des Körpers unterstützt und das Immunsystem gestärkt wird, sodass glückliche Menschen widerstandsfähiger gegen krank machende Faktoren sind als unglückliche oder depressive Menschen.

Phantasiereisen arbeiten mit Vorstellungsbildern. Diese bewirken vor allem tiefe Entspannung und Gefühle von Zuversicht und Optimismus. Sie stellen den Genuss des Erlebten in den Vordergrund und erzeugen dadurch Erregungsmuster im Gehirn, die die Organfunktionen positiv beeinflussen und Stressprozesse wirkungsvoll unterbinden.

Dadurch eignen sich Phantasiereisen ideal dazu, Stress abzubauen und Entspannung zu lernen – eine unserer wichtigsten Fähigkeiten, um unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu erhalten.

Phantasiereisen in Psychosomatik & Psychotherapie

Aufgrund ihrer Fähigkeit, ins Zusammenspiel zwischen Psyche und Körper steuernd einzugreifen, werden Phantasiereisen häufig bei psychosomatischen Störungen und Erkrankungen eingesetzt. Dazu gehören unter anderem:

  • essentielle Hypertonie (Bluthochdruck)
  • Magen- und Darmerkrankungen
  • Herzrhythmusstörungen
  • Spannungskopfschmerzen und Migräne
  • Tinnitus (Ohrgeräusche)

Dabei stellen Phantasiereisen stets eine unterstützende und ergänzende Maßnahme zu anderen (beispielsweise medikamentösen) Therapieformen dar. Auch in der modernen interdisziplinären Schmerztherapie kommen Phantasiereisen zum Einsatz, denn Schmerz ist ein sehr subjektives, nicht exakt messbares Geschehen, an dem Verarbeitungsprozesse im Gehirn maßgeblich beteiligt sind.

Bei all diesen Störungs- und Krankheitsbildern, die sich durch eine starke Mitbeteiligung psychischer Faktoren auszeichnen, bieten Phantasiereisen einen wirkungsvollen zusätzlichen Ansatz, um in das Wechselgeschehen zwischen Seele und Körper einzugreifen.

In der Psychotherapie finden Phantasiereisen inzwischen bei einer Vielzahl psychotherapeutischer Richtungen und Schulen großen Anklang. Einige der wesentlichsten Beiträge zur Entwicklung therapeutischer Phantasiereisen lieferte der deutsche Psychoanalytiker und Pychiater Hanscarl Leuner (1919 – 1996), der 1954 unter der Bezeichnung „Katathymes Bilderleben“ einen neuen Ansatz innerhalb der Tiefenpsychologie entwickelte. Heute ist die Weiterentwicklung dieser Methode als „Katathym-Imaginative Psychotherapie“ (KIP) bekannt.

In der Katathym-Imaginativen Psychotherapie wird der Patient dazu angeregt, im Zustand tiefer Entspannung Situationen und Umgebungen mit allen Sinnen zu imaginieren – Gerüche, Geräusche, optische Vorstellungsbilder und Tasteindrücke – und sich der Emotionen bewusst zu werden, die mit ihnen verbunden sind.

Leuner ging davon aus, dass bestimmte Objekte (Straße, Haus, Berg etc.) im Erleben des Patienten festgelegte Bedeutungen besitzen, sodass die Art und Weise, wie der Patient seine imaginäre Landschaft gestaltet und beschreibt, wichtige Rückschlüsse auf seinen seelischen Zustand erlauben.

Phantasiereisen nutzen ähnliche Mechanismen – zum Beispiel die Verbindung von Symbol und Gefühl und den tiefen Entspannungszustand – um den Hörer eine Reihe von Bildern erleben zu lassen, die seine eigenen Emotionen auf den Plan rufen. Schon diesen Gefühlen zu begegnen und sich ihrer bewusst zu werden, verbessert die Selbstwahrnehmung des Hörers und bringt ihn in Kontakt mit seinen oftmals verschütteten oder verdrängten seelischen Inhalten.

Und dadurch dass er sich in der Phantasiereise als Handelnden erlebt, kann er sich angstfrei Situationen stellen, die ihm im Alltag Probleme bereiten, und so neue Verhaltensmuster einüben.

In der Psychotherapie werden Phantasiereisen daher oft zur (Mit-)Behandlung zum Beispiel folgender Problemfelder eingesetzt:

  • Zwangsstörungen
  • sexuelle Störungen
  • Suchterkrankungen
  • Phobien (Angststörungen)
  • Essstörungen
  • Störungen der Selbstwahrnehmung

Phantasiereisen zur Selbstbehandlung?

Ihre Grenzen als Methode zur Selbstbehandlung finden Phantasiereisen ganz klar dort, wo eine ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung notwendig wird.

Ernstzunehmende gesundheitliche Störungen oder psychische Erkrankungen sind mit Phantasiereisen allein nicht zu bewältigen. Allerdings können sie Teil eines übergreifenden Behandlungskonzeptes sein, in dem sie ein sinnvoller Baustein des Ganzen sind.

Es gibt jenseits der medizinischen Anwendungen noch viele andere Bereiche, in denen man Phantasiereisen einsetzen kann, um sein seelisches und körperliches Gleichgewicht zu bewahren und ein erfüllteres Leben zu führen.

Dazu zählen vor allem die Gesundheitsvorsorge und die Persönlichkeitsentwicklung, denn hier kann das Potential professionell gestalteter Phantasiereisen auch ohne ärztlichen Beistand wirkungsvoll ausgeschöpft werden.

In der Gesundheitsvorsorge leisten Phantasiereisen einen wertvollen Beitrag, indem sie Stressabbau ermöglichen und Entspannung vermitteln. Dadurch lernt der Hörer mit der Zeit, Stresszustände in Gelassenheit und Zuversicht umzuwandeln, weniger anfällig für Stress auslösende Faktoren zu werden und so den Anforderungen des Alltags besser zu begegnen.

In der Persönlichkeitsentwicklung können Phantasiereisen den Zugang zur eigenen Kreativität, zu Selbstvertrauen und Optimismus erschließen, Versagensängste überwinden helfen und einen positiven Blick auf sich selbst und die Welt ermöglichen – Faktoren, die für erfolgreiches Handeln und Selbstverwirklichung unverzichtbar sind.

So stellen Phantasiereisen ein außerordentlich flexibles und wirkungsvolles Werkzeug dar, um die unterschiedlichsten Ziele zu verwirklichen. Von ziellosen Tagträumereien kann daher keine Rede sein – sachkundig angewendet, liefert uns die gelenkte Imagination einen Schlüssel zu einem erfüllteren und befriedigenderen Leben und ermöglicht uns, unseren inneren Reichtum zu erfahren.